Seit mehr als einem Jahr ist Trump nun Präsident. Schlimm war es, aber es hätte schlimmer kommen können. Hinter den fast täglich neuen rassistischen Unsäglichkeiten, den ständigen Skandalen, der monotonen Medienbeschimpfung, den permanenten Lügen, den Twitter-Spielchen mit dem Atomkrieg und den weiterlaufenden Russlandermittlungen, scheint Trump inzwischen geradezu domestiziert zu sein. Die ganz große autoritäre Revolte ist ausgeblieben und der Möchtegern-Lenin Steve Bannon hat den Einfluss, den er mal gehabt haben mag, schon vor langer Zeit verloren. Immer reibungsloser arbeitet die republikanische Partei mit dem Präsidenten zusammen. Steuerreform, Ölausbeutungsrechte, gelockertes Arbeitsrecht und die unzähligen, kleinen und großen Wohltaten für Arbeitgeber, die in den Medien kaum Aufmerksamkeit bekommen – Trump macht alles mit.
Erstaunlich, bedenkt man, dass sich Trump im Wahlkampf, und besonders im eigentlich entscheidenden Vorwahlkampf, als Rebell gegen seine eigene Partei inszeniert hatte. Demonstrativ spuckte er auf die konservative Orthodoxie und attackierte etablierte Parteigranden wie Jeb Bush aufs schärfste. Besonders Steve Bannon hatte stets versucht, Trump als das Gegenteil eines traditionellen Republikaners zu inszenieren, als „Populisten“ und „ökonomischen Nationalisten.“
Amerikanische Konservative beschreiben ihre politische Identität gerne als einen „Stuhl mit drei Beinen.“ Das wären zum einen das „free enterprise“, also ein möglichst unregulierter Kapitalismus und globaler Freihandel; dann der „soziale Konservatismus“, also traditionelle „christliche Werte“; und schließlich eine expansive, imperialistische Außenpolitik und der Glaube an die besondere welthistorische Mission der USA. Diese drei Tendenzen prägen seit Jahrzehnten die Politik der Republikaner – und in seinem Wahlkampf brach Trump mit jeder einzelnen von ihnen.
Statt der üblichen wirtschaftsliberalen Predigten gab es von Trump sozialpopulistische Parolen gegen Wall-Street und Freihandel. Und als Kandidat der konservativen Christen ging der vulgäre New Yorker, der früher für das Recht auf Abtreibung gewesen war und nie ein Wort über Gott verlor, schon gar nicht durch. Trumps größter Tabubruch lag jedoch in der Außenpolitik. Noch nie hat ein Republikaner so deutlich ausgesprochen, dass der Irakkrieg „dumm war“ und auf „Lügen“ basierte – und Trump hatte das nicht nur immer wieder gesagt, sondern es sogar Jeb Bush ins Gesicht geschrien, während die ganze Nation zuschaute. Dazu kam noch seine mysteriöse Zuneigung für Vladimir Putin und seine zynische Absage an die üblichen Formeln der amerikanischen Weltpolitik. Von Demokratie, Menschenrechten und den „westlichen Werten“ sprach Trump fast nie. Für ihn waren die USA nicht mehr der idealistische Heilsbringer der „liberalen Weltordnung,“ sondern der brutale Boss im globalen Dschungel. Ein „Isolationist“ sei Trump also, war überall zu lesen gewesen, der mit allen Traditionen der US-Außenpolitik brechen wolle.
Nach einem Jahr als Präsident ist davon kaum etwas übriggeblieben. Von seinen einstigen Rivalen aus dem republikanischen Vorwahlkampf unterscheidet sich Trump nur noch durch seine besonders abstoßende Persönlichkeit, seine Inkompetenz und seinen offen zelebrierten Rassismus, den es bei US-Spitzenpolitikern tatsächlich in dieser Form seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Ansonsten aber hat sich Trump in allen wichtigen politischen Fragen wie ein ganz normaler – wenn auch ziemlich rechter – Republikaner positioniert.
Hat Trump also gelogen? Hat er die republikanischen Wähler, die sich eine nationalistisch-populistisch-isolationistische Revolution wünschten, an das „Establishment“ verraten? Anscheinend nicht. Auch ein Jahr nach der Wahl ist Trump unbeliebt wie eh und je, doch seine Wähler (es waren ja gerade einmal 25% der Bevölkerung) bleiben ihm treu. Überspitzt gesagt könnte man sagen: nicht seine Wähler haben Trump falsch verstanden, sondern alle anderen. Trump hat den „dreibeinigen Stuhl“ keineswegs verworfen, sondern nur neu erfunden – was nach der Wirtschaftskrise und der Katastrophe im Irak dringen geboten war.
Dabei kamen nicht zuletzt einige hässliche Wahrheiten über den amerikanischen Konservatismus zu Tage. Zum Beispiel, dass die frömmlerischen Abtreibungsgegner und homophob hetzenden Pastoren tatsächlich sehr gut in die quasi-pornographische, misogynen Welt der „Miss Wahlen“ passen, in der Trumps vulgärer Sexismus zuhause ist. Der jahrzehntelange konservative Kreuzzug gegen die modernen Sitten hat sich durch Trump selbst entlarvt: es war nie etwas anderes, als Hass auf befreite Frauen und Homosexuelle, und der schäbige Versuch, jegliche fortschrittliche Kritik abzuwehren. Die true believers wiederum, die echten konservativen Christen, machten jenseits der Wahlkampfbühne kühl und pragmatisch ihre politischen Deals. Sie erhielten reale Einschränkungen des Rechts auf Abtreibung und staatliche Subventionen für christliche Privatschulen – und lieferten im Gegenzug die Stimmen ihrer bestens organisierten Wählerschaft.
Trumps obszönes Auftreten ist von der konservativen Basis sehr wohl verstanden worden – als derselbe reaktionäre Kulturkampf, den man ihnen früher mit Jesus und Sittlichkeit verkaufte. Aber was ist mit der Wirtschaftspolitik? Etliche Wahlversprechen Trumps hätten im amerikanischen Kontext fast als „links“ durchgehen können. So forderte Trump eine Erhöhung des nationalen Mindestlohns auf 10$ und sogar eine Krankenversicherung “die alle abdeckt”; er versprach, er werde die Finanzindustrie regulieren und starken Druck auf Pharmakonzerne ausüben, damit diese ihre überteuerten Preise senken; er werde Arbeitsplätze aus dem Ausland in die USA zurückbringen, Steuerschlupflöcher für Kapitalgewinne schließen und auf keinem Fall einer Steuersenkung für Reiche zustimmen. Stattdessen werde es billionenschwere Investitionen in Infrastruktur geben. Gleichzeitig garantierte Trump explizit, dass es keine Einsparungen bei der staatlichen Rente oder der Krankenversorgung für Arme und für Senioren geben werde (Social Security, Medicare und Medicaid).
Als Präsident hat Trump in jedem der genannten Punkte das genaue Gegenteil getan. Nur von dem Infrastrukturplan redet er immer noch gelegentlich; allerdings wird dafür nach den gewaltigen Steuersenkungen, die Trumps Partei gerade durchbringt, kaum noch Geld übrigbleiben. Der Rest waren Lügen – wenn Lügen nicht ein viel zu starkes Wort ist, für diese wahllosen Behauptungen, die anscheinend weder Trump, noch seine Wähler ernst genommen haben. Trump macht als Präsident in jeder Hinsicht klassisch rechte Wirtschaftspolitik – und seine Wähler scheint das wenig zu stören.
Vielleicht sollte uns das nicht überraschen, bedenkt man, wer die republikanischen Wähler sind und warum sie ursprünglich zu Trumpfans geworden sind. Trump wurde als „Birther“ zu einem Star der Rechten, also als jemand, der – metaphorisch – behauptete, Obama sei zutiefst unamerikanisch und wolle der Nation schaden. Dieser wahnhafte, paranoide Hass auf Obama, der acht Jahre lang das Programm von Fox-News und die Rhetorik der Republikaner prägte, hatte vor allem einen Gegenstand: die Gesundheitsreform, die angeblich die Republik in den Abgrund stürzen würde. Kaum verhüllt kamen dabei die paranoiden Ressentiments der weißen, gehobenen Mittelschicht zum Ausdruck, für die jeder kleinste Schritt zur sozialstaatlichen Umverteilung zugunsten der nicht-weißen Armen den Weltuntergang bedeutete. Diese rechte Rebellion gegen Obama kleidete sich durchaus in eine „populistische“ Sprache: sie sprach im Namen der einfachen, produktiven, genügsamen Amerikaner, die sich gegen den übermächtigen, sie ausplündernden Filz von Washington und Wall-Street wehren müssten. Liest man die die Manifeste der Tea-Party (oder schaut sich die Filme von Steve Bannon aus dieser Zeit an), stößt man auch dort ständig auf eines der liebsten Feindbilder Trumps, die „special interests“ – also die Wirtschaftsinteressen, die Washington korrumpieren. Wenn Trump also im Wahlkampf versprach, er werde Politik für die vergessene „Arbeiterklasse“ machen, die Regierung aus den Fängen der Wall-Street befreien und endlich wieder im Interesse Amerikas regieren, mag das wie Sozialprotest klingen, bedeutete aber im Kontext der US-Republikaner nur den selben alten Sozialchauvinismus der Mittelschicht.
Es ist überhaupt erstaunlich, wie ernst amerikanische Medien Trumps und Bannons „Populismus“ genommen haben. In den USA hat der Begriff „ökonomischer Nationalismus“ inzwischen einen fast „linken“ Klang bekommen, weil es dabei ja um den Schutz der nationalen Arbeiterklasse gegen den „Globalismus“ gehe. Diese kolossale Dummheit sollten Linke nicht mitmachen. Der protektionistische Nationalismus, den sich Bannon und Trump wünschten, ist nichts anderes als die zusammengerückte nationale Produktionsgemeinschaft, in der die Arbeitnehmer Opfer bringen müssen, um die Rivalen der Nation auf dem Weltmarkt zu besiegen. Die jetzt durchgesetzte radikale Reduzierung der Unternehmenssteuer ist kein Widerspruch zu diesem Standortnationalismus, sondern das, was schon immer damit gemeint war: ein Boost für die heimische Industrie vis-a-vis der ausländischen Konkurrenz, unter der aber die Arbeiterklasse leiden wird, wenn nämlich bald im Gegenzug die letzten Reste des Sozialstaats zertrümmert werden.
Am eindrücklichsten schien Trump den „dritten Fuß“ der imperialistischen Außenpolitik entsorgt zu haben. Trump wolle die Führungsrolle der USA als Garant der „liberalen Weltordnung“ aufgeben, und stattdessen einen „isolationistischen“ selbstbezogenen Nationalismus fahren, hieß es vor einem Jahr. Seine tatsächliche Politik spricht natürlich eine andere Sprache: es gab noch mehr Geld fürs Militär und die Intensität der amerikanischen Bombardements in sieben Ländern wurde deutlich aufgedreht. Auch gegen Nordkorea und den Iran trat die USA um einiges aggressiver auf – und sogar gegen Russland fuhr Trump eine härtere Linie als Obama, indem er etwa Waffen an die Ukraine schickte.
Der „Blob“, wie Obama die parteiübergreifende außenpolitische Elite Washingtons zu nennen pflegte, hasst Trump freilich wie eh und je – und hat dafür gute Gründe. Durch sein ekelhaftes und inkompetentes Auftreten fügt Trump dem Soft-Power-Image der USA irreparablen Schaden zu. Auch verunsichert sein isolationistisches Gerede die amerikanischen Verbündeten – und das ausgerechnet in diesem sehr entscheidenden Moment, in dem China endgültig die Bühne der Weltpolitik betritt. Zudem hat der US-Präsident gerade in der Außenpolitik eine besondere Macht und Autonomie. Die Panik der Fachmänner angesichts Trumps beratungsresistenten Stumpfsinns ist also kaum überraschend: es kann tatsächlich sehr viel schiefgehen.
Dennoch: von Isolationismus, Rückzug und Appeasement war im letzten Jahr nichts zu spüren, ganz im Gegenteil. Und wieder gibt es kein Anzeichen, dass Trumps Unterstützer erstaunt oder enttäuscht wären. Das legt den Schluss nahe, dass sie ihn nicht deshalb gewählt haben, weil sie der amerikanischen Weltmachtstellung überdrüssig waren. Trumps scheinbare Tiraden gegen den US-Imperialismus waren in Wirklichkeit nichts dergleichen. Als er im Wahlkampf Bush und die Neokonservativen aufs schärfste attackierte, hat er lediglich die erfolglosen Imperialisten fortgejagt, die den Irak verloren und das Land gedemütigt hatten. Das haben seine Anhänger geliebt – nicht, weil sie Krieg ablehnen, sondern weil sie Kriege gewinnen wollen.
Die schmerzhafte Niederlage im Irak war eine Demütigung für jene, die sich mit der Macht der eigenen Nationen identifizierten. Diese Niederlage musste irgendwie bewältigt werden. Vor allem von jenen Menschen, die unter dem Krieg tatsächlich gelitten haben und ihn deswegen schlicht nicht vergessen können. 2,7 Millionen US-SoldatInnen hatten im Irak oder in Afghanistan gekämpft; sie alle haben Ehepartner, Freunde und Verwandte, die nicht umhinkommen, sich mit dem Sinn und Unsinn dieses Krieges zu beschäftigen. Trump gab den republikanischen Wählern die Möglichkeit, das Trauma des Irakkrieges zu verarbeiten, ohne dabei ihre Identifikation mit dem amerikanischen Militarismus aufzugeben. Nicht der eigene Nationalismus sei schuld, dass man der Bush-Regierung so kritiklos in den „dummen“ Krieg gefolgt war, sondern vielmehr der mangelnde Patriotismus der damaligen neokonservativen Elite. Diese habe sich „globalistischen“ Träumen verschrieben, das Volk mit ihren Lügen betrogen und so die Interessen der Nation verraten.
Das ist natürlich völliger Quatsch. Die von den Neokonservativen noch sehr gut verstandene Dialektik des amerikanischen Nationalismus besteht gerade darin, dass die sogenannte „liberale Weltordnung“ kein Hindernis, sondern die Voraussetzung der amerikanischen Weltmachtstellung darstellt, nationaler Eigennutz und liberaler „Globalismus“ also unbedingt zusammenfallen. Ob sich Trump nun wirklich von diesem Fundament der amerikanischen Macht verabschieden will, oder diese nur durch unreflektiertes, jingoistisches Geschwafel beschädigen wird, ist schwer zu sagen. Nur eins ist klar: gegen Krieg ist Trump nicht – nur gegen Niederlagen.
Mit Trump herrscht eine sehr ähnliche Melange aus Militär, evangelikalen Christen und Großkapital wie unter George W. Bush – nur dümmer, kurzsichtiger und brutaler als damals. Das, was man jahrzehntelang die „konservative Bewegung“ nannte, ist, genauso wie die republikanische Partei insgesamt, nicht mehr vom „Trumpismus“ zu unterscheiden. Trump hat seinen Stil und sein Auftreten mitgebracht, sich die Agenda des rechten Flügels angeeignet, und dann die Partei übernommen. Und die Partei ist einverstanden. Rechtspopulistische Elemente gab es bei den Republikanern schon immer; als etwa John McCain 2008 gegen Obama antrat und dabei die durchgeknallte Hinterwäldlerin Sarah Palin zu seiner Vize-Präsidentschaftskandidatin machte, war das ein Versuch, diesen lunatic fringe bei der Stange zu halten. McCain wusste, dass viele seiner Wähler glaubten, dass Obama kein echter Amerikaner und vermutlich ein Muslim sei. Sein Drahtseilakt war es, diese Wähler zu bedienen, ohne selbst aussprechen zu können, was sie dachten. Trump hat es sich da einfacher gemacht.
So ist nach diesem turbulenten Jahr, das angeblich alle überkommenden politischen Kategorien durcheinanderwirbelte, die erstaunlichste Erkenntnis, dass Trump sich als ein sehr widerspruchsfreier Rechter erwiesen hat. In den USA ist das politische Spektrum nach wie vor kein Hufeisen, sondern eine relativ einfach zu verstehende Skala. Diese Skala verläuft, von Links nach Rechts, von den Progressiv-Liberalen (Sanders) zu den verantwortungsbewusst-patriotischen Konservativen (Obama und Clinton); sie geht weiter bei den brutal-elitären Konservativen (Bush, McCain und Romney), die noch jeden reaktionären, ressentimentgeladenen Dreck mitmachen, um die Spitzensteuersätze zu senken und die Rente zu privatisieren; und sie endet schließlich bei den Freaks und Rechtspopulisten (Palin, Cruz, Trump), die den ganzen Kulturkampfzirkus am Laufen halten, aber dann doch nur tun, was die McCains und Romneys auch getan hätten. Und irgendwo ganz weit rechts außen sitzen die Nazis wie Richard Spencer, die mit der ganzen Veranstaltung nicht das Geringste zu tun haben.