In der nächsten Konkret (Februar) habe ich einen weiteren Artikel über die europäischen Bemühungen, die zentrale Mittelmeerroute durch Libyen zu schließen. Ich spreche dabei auch über die sich langsam abzeichnenden Konturen eines zukünftigen europäischen Systems des Grenzmanagements. Dieses zielt darauf ab, “irreguläre Migration“ komplett zu unterbinden, um stattdessen „besonders schutzbedürftige Flüchtlinge“ aus Lagern weitab der europäischen Grenzen – in der Türkei, Jordanien, Libyen oder anderen afrikanischen Ländern – nach Europa „umzusiedeln.“
Diese Versprechen der „Umsiedlung“ (aus Afrika sollen in den nächsten zwei Jahren 50,000 Flüchtlinge nach Europa gebracht werden) sind oft sehr dubios – man erinnere sich, wie wenige Flüchtlinge bisher tatsächlich aus der Türkei, oder auch nur aus Griechenland in andere EU-Länder verteilt worden sind. Aber es ist ein essentieller Teil des „australischen Modells“ der Migrationsbekämpfung. Dieses nutzt, um einen hässlichen Ausdruck zu nutzen, „Zuckerbrot und Peitsche“: Abschreckung einerseits (wer „irregulär einreist“ landet in einem schrecklichen Internierungslager ohne Chance auf Asyl); und die vage Hoffnung andererseits, dass, wenn man sich nicht auf den Weg macht und in seinem Elend verbleibt, man möglicherweise irgendwie durch das Umsiedlungsprogramm Asyl erhält – das ist das „Zuckerbrot“ der Umsiedlung. Begründet wird dieses Vorgehen damit, dass so Flüchtlinge davon abgehalten werden, sich bei der Überfahrt in Lebensgefahr zu bringen.
In Australien wird dieses Modell, wie gesagt, schon praktiziert. Australische Militärschiffe versuchen dort, Flüchtlingsboote auf hoher See abzufangen und in ihre Ausgangsländer zurückzubringen, meistens nach Indonesien. Dort bleiben sie hängen, haben aber die theoretische Möglichkeit nach jahrelangem Warten vielleicht einmal als Flüchtling in Australien anerkannt zu werden. Andere haben weniger Glück, sie werden auf eine der Lager auf verarmten, winzigen Pazifikinseln gebracht, wo sie jahrelang in trostlosen Lagern festgehalten werden, fast immer ohne Hoffnung, als Flüchtling anerkannt zu werden.
Das berühmteste dieser Lager war auf der Insel Manus, die zu Papua Neuginea gehört, wo fast 2000 Flüchtlinge jahrelang eingesperrt waren. Schon 2016 wurde das Lager vom obersten Gerichtshof für „illegal und verfassungswidrig“ erklärt. Immer wieder kam es zu Misshandlungen durch Sicherheitskräfte, sexuellen Missbrauch und Selbstmorde; ein iranischer Flüchtling wurde von Sicherheitskräften ermordet. Im Juni dieses Jahres willigte die australische Regierung ein, 70 Millionen AUSD Schmerzensgeld für die Insassen von Manus zu zahlen, um einem öffentlichen Prozess und die Zugabe von Schuld zu vermeiden.
Auch hier stehen die gewaltigen Kosten und die relativ kleine Zahl der Flüchtlinge in keinem Verhältnis. Das primäre Ziel ist nicht, die ankommenden Flüchtlinge von der Einreise abzuhalten, sondern jene abzuschrecken, die sich noch nicht auf den Weg gemacht haben.
So ähnlich funktioniert die östliche Mittelmeerroute seit dem Türkei-Deal. Zurzeit befinden sich knapp 15,000 Flüchtlinge auf einer der griechischen Inseln vor dem türkischen Festland. Wie letztes Jahr müssen sie dieses Jahr mit inadäquater Unterbringung einen kalten Winter überstehen. Die Lager sind völlig überbelegt, die Gewalt wächst, Selbstmorde häufen sich.
Seit Oktober wurden 6000 Flüchtlinge aufs Festland evakuiert – gleichzeitig wurden nur 2000 Flüchtlinge in den letzten zwei Jahren zurück in die Türkei abgeschoben. Bedenkt man, dass 2017 30,000 Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland kamen, deutet alles darauf hin, dass es eine langfristig wachsende, permanente Flüchtlingspopulation auf den griechischen Inseln geben wird. Internierungslager – für immer.
Die Türkei, und Libyen auf seine Weise, zeigt wie essentiell die Kooperation von Transitländern für die erfolgreiche Flüchtlingsabwehr ist. Doch die Lager auf Lesbos und in Tripolis zeigen auch: Abschreckung ist das eigentliche Mittel der Wahl: es geht darum, den noch nicht losgefahrenen zu signalisieren, es mache keinen Sinn, sich auf den Weg zu machen.
Dieses Prinzip scheint sich auch innerhalb Europas fortzusetzen. Die Chance auf eine menschenwürdige Existenz ist ein „Pull-Faktor“, den die europäischen Regierungen zunehmend zu minimieren versuchen. In Italien leben zehntausende Einwanderer, deren Asylantrag scheiterte, in der Illegalität, ohne Hoffnung auf eine stabile Existenz, oft ohne Wohnung. Viele müssen sich in Agrar-Arbeitslagern im Süden des Landes ausbeuten lassen. In Dänemark, wo die rechtspopulistische Dänische Volkspartei inzwischen zweitstärkste Kraft ist, brachte die Regierung 67 restriktive Asyl-Gesetze ein. Flüchtlinge müssen sich für das Privileg, in Dänemark Asyl zu suchen, von der Polizei ihren gesamten Besitz abnehmen lassen und dürfen nur Geld und Wertsachen im Wert von 1,343 Euro behalten.
In Frankreich hatte Macron im Juli schon gefordert, alle Flüchtlinge bis Jahresende „von den Straßen und aus den Wäldern“ haben zu wollen. Seitdem werden massenhaft illegale Siedlungen geräumt, der Verfolgungsdruck steigt. Macron hat immer wieder deutlich gemacht, er werde keine Wirtschafsmigranten akzeptieren. Im November verschärfte das Innenministerium die Bemühungen um schnellere Abschiebungen. Im Frühling soll ein neues Gesetz verabschiedet werden, dass die Asylverfahren verschärft und die mögliche Abschiebehaft auf 90 Tage verlängert.
Der Koalitionsvertrag der neuen rechtsradikalen Regierung in Österreich geht noch viel weiter. Menschen, die einen Asylantrag stellen, soll alles Bargeld abgenommen werden. Asylbewerber müssten zudem zeitweise ihre Handys bei den zuständigen Behörden abgeben, damit diese die darauf gespeicherten Daten auslesen könnten. Während des Asylverfahrens sollen Bewerber nur noch Sachleistungen erhalten. Die Mindestsicherung für Asylberechtigte soll gekürzt werden. Auch soll es bald verboten werden, Asylbewerber in Privatquartieren unterzubringen. Führende FPÖ-Politiker sprachen von Kasernen, oder „Lagern an der Stadtgrenze“, auch eine nächtliche Ausgangssperre wurde gefordert.
Im Deutschland schließlich wird über erzwungene Altersnachweise spekuliert; das Ziel ist vermutlich, einen weiteren Anstieg der Abschiebungen nach Afghanistan zu legitimieren. Diese waren nach dem Attentat auf die deutsche Botschaft im Mai, mit 150 Todesopfern, vorrübergehend ausgesetzt, nehmen jetzt jedoch wieder an Fahrt auf. Und letzten November forderten CDU-Politiker sogar, 2018 Flüchtlinge endlich nach Syrien abzuschieben.
Foto: Department of Immigration photograph of the Manus Regional Processing Centre in 2012
DIAC images – Manus Island regional processing facility