In dem Video spricht die Präsidentin von „Ärzte ohne Grenzen“, Dr. Joanne Liu, darüber, was sie in libyschen Flüchtlingslagern gesehen hat. Dabei sagt sie die klare und unbestreitbare Wahrheit über die dortigen Verhältnisse und über die Schuld und Verantwortung Europas.
„What I saw in Libya I would describe as the incarnation of human cruelty at its extreme.
(…)
Every nation, every government that is facilitating to send people back to Libya or to keep them contained in Libya is complicit to massive, massive abuses to human rights.“
Hohe Regierungsmitglieder und Journalisten aus Deutschland waren in genau denselben Lagern – und wer nicht dort war, verfügt auf jeden Fall (wie wir alle) über mehr als genug seriöse Informationen zu den dortigen Verhältnissen – von der UN, der IOM, Oxfam, usw.
Die Fakten sind bekannt. Und doch wird so getan, als lebte man in einem Paralleluniversum, in dem es möglich wäre, Flüchtlinge in Libyen in Lager einzusperren, ohne sie dort der Folter und der Vergewaltigung auszuliefern. Wie kann das funktionieren?
Es funktioniert, weil Deutsche einerseits nicht ertragen, dass weiter Flüchtlinge von Libyen aus nach Europa kommen, und gleichzeitig nicht wissen wollen, was nötig wäre, um das zu verhindern. Beides gleichzeitig.
Deutsche sind keine erwachsenen Menschen, wie es scheint. Sie wollen den Kuchen essen und ihn trotzdem haben: Ausländer in Libyen festhalten, und trotzdem „Europäische Werte leben.“
Dieser infantile Wille zur Ignoranz, diese greisenhafte Ängstlichkeit, prägt das stillschweigende Abkommen, das die Deutschen mit ihren Politikern geschlossen haben: diese halten ihnen die Ausländer vom Leibe und erledigen stillschweigend das blutige und brutale Geschäft des Grenzschutzes in Afrika – und halten gleichzeitig eine Fassade der Liberalität und Humanität aufrecht, die ja trotz allem gerade den so europabegeisterten Deutschen noch wichtig ist.
Man ist fast geneigt, mehr Respekt vor den AfD-Rassisten zu haben, die wenigstens ehrlich zugeben, dass sie bereit sind, das ganze Humanitätsgelaber über Bord zu werfen, um die Ausländer loszuwerden. Zumindest bekommt der Furor, mit dem die angeblich liberale Mitte dieser Gesellschaft sich von den Rechten absetzt, zunehmend einen bitteren Beigeschmack.
Als zum Beispiel die Identitären mit „Defend Europe“ eine schäbige kleine PR-Aktion aufführten, überbot man sich in Europa und Deutschland dabei, diese „menschenverachtende“ Aktion aufs tiefste zu verdammen – und erfüllte dann, ohne großes Aufhebens zu machen, jede einzelne Forderung der Identitären. (Ich glaube, nicht einmal die AfD hätte sich vor einem Jahr getraut, die lybischen Konzentrationslager zu fordern, die jetzt europäische Realität sind.)
Wer sich über die AfD aufregt, muss sich anschließend keine Gedanken mehr darüber machen, wie die große deutsche Koalition Flüchtlingsabwehr betreibt. Es ist fast so, als diene die demonstrative Opposition gegen die Rechten auch dazu, die eigene liberal-zivilisatorische Fassade zu restaurieren, um Kritik von Links endgültig zum Schweigen zu bringen. „Indem sich die herrschende Politik ‚von links‘ gegen die Rechtspopulisten abgrenzt,“ wie Felix Klopotek kürzlich in der konkret schrieb, „gewinnt sie in ihrer Selbstdarstellung und also ideologischen Überhöhung ein [enormes] Maß an Sicherheit und Solidität.“
Macron zum Beispiel wurde als die bürgerlich-liberale Rettung vor der großen Regression gepriesen. Jetzt ist er der größte Lagerbauer und buhlt mit Italien verzweifelt um die Gunst der Warlords und Folterer in Libyen. Setzen sich seine Anhänger und Fans (auch in Deutschland) mit diesen Tatsachen außeinander? Nein – weil es keine erwachsenen Menschen sind.
(PS: Habt ihr mal darüber nachgedacht, dass es unterm Strich humaner wäre, wenn die EU, statt die Flüchtlinge in Libyen aufzuhalten, sie in Sizilien in riesige Lager einsperren würde, wo sie auf unabsehbare Zeit dahinvegetierten, aber wenigstens körperlich sicher wären? Vielleicht könnten das pragmatische Humanisten wie die Grünen in ihr Wahlprogramm aufnehmen.)
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