FEAR (in der Schaubühne in Berlin) war das erste richtige Theaterstück, das ich in meinem Leben gesehen habe. Unglaublich, ich weiß. Und ich muss zugeben, dass mir dieses Theater auch nach einigen weiteren Stücken in vieler Hinsicht ein Rätsel bleibt. Deshalb hier Blogposts, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen.
Es ist schon ziemlich lange her, dass ich FEAR gesehen habe, aber ich erinnere mich noch gut an das, was mir daran gefallen hat – und was ich schrecklich fand. Das Stück baut auf der Metapher der Zombie- und Monsterfilme auf und behandelt die Neuen Rechten, Pegida, AfD und so weiter. Es kam im Herbst 2015 raus (läuft aber ich immer noch!), als all das noch unglaublich erschreckend und neu war.
Was mich damals überraschte, war, wie sehr das Stück Ton- und Filmeffekte nutzte, und zwar ziemlich beeindruckende. Der beste Effekt war eine Toncollage, in der O-Töne von besorgten Bürgern, AfD-Politikern und anderen Nazis arrangiert, geloopt und auf einen Industrialbeat gelegt wurden. Das Ergebnis war eine Mischung aus Musik und Sprachgewirr, teilweise unheimlich aber auch absurd und witzig. Immer wieder wurde das Stück durchbrochen von dieser rhythmisierten Welle aus verwirrten, hasserfüllten Gestammel.
Das fügte sich sehr gut in den ganzen Vibe des Stücks, das die Rechten als Aufstand der Untoten inszenierte, als ein schockierendes Wiederauferstehen von etwas lange tot geglaubtem. Das Stück nahm die Perspektive der zivilisierten Großtsadtbewohner ein, die entsetzt auf das plötzlich so bedrohlich erscheinende (ostdeutsche) Umland schauten und rätselten: Woher kommen diese Gestalten, und was wollen sie?
Es wurde die Nazi-Familliengeschichte von Beatrix von Storch nachgespielt und irgendjemand hielt Reden über die Verschwulung des deutschen Volkes. All das war etwas unzusammenhängend aber unterhaltsam. Im Hintergrund waberte die vage Botschaft, es sei die Angst, die diese Monster zu Monstern gemacht habe.
Zum Schluss wurde die implizierte Position des Stücks ganz offen inszeniert: die Bühne wurde verwandelt, um das Habitat der Stadtbewohner darzustellen, mit viel grünen Pflanzen und schicken Holzmöbeln. Ein bischen nach Urban Gardening sah es aus. Und da saßen sie, die jungen, internationalen, kosmopolitischen Nachwuchsbobos, und räsonnierten. Ich weiß nicht mehr ganz genau, was da gesagt wurde. Kritiken konnte ich aber entnehmen, dass meine grobe Errinerung mich nicht trügte. Die Gespräche liefen darauf hinaus, festzustellen, dass, ich zitiere, „We are the others.“ Wir sind die guten, und stehen den unerklärlich abscheulichen Anderen gegenüber.
Auf die Frage: Was tun?, antworten wir also: wir selbst sein. Denn wir sind die Lösung, nicht das Problem.
Diese klare Einteilung in Barbaren, die vor den Toren stehen, und zivilisierte Kosmopoliten, hatte etwas doppelt Befremdliches, weil natürlich in Letzterem exakt das Publikum abgebildet wurde, oder zumindest das Selbstbild der jungen Akademikern, aus denen das Publikum bestand.
Nun habe ich diese Vorstellung schon immer für grandiosen Schwachsinn gehalten: dass die verunsicherten, ganz normalen Bürger in die Hände der Rechtspopulisten getrieben werden, weil arrogante, links-liberale Bobos 1) ihre Sorgen nicht ernst nehmen und 2) sie für ihre kleinbürgerliche Mittelmäßigkeit verachten. Diese Karikatur links-liberaler Arroganz ist mir noch nie wirklich begegnet, sie scheint mir vor allem im Kopf von ressentimentgeplagen Rassisten zu existieren. Die Wähler der Rechtspopulisten sind eben verachtenswert, und ihre Sorgen sind wahnhaft, also nicht ernstzunehmen.
Having said that: das macht die in diesem Stück zurschau gestellte Selbstzufriedenheit aber auch nicht besser. Wie kann man sich denn auf eine Bühne stellen und ernsthaft deklamieren: „We are the others,“ und dann noch, um jede Hoffnung im Publikum zu zerstören, es handele sich um kluge Ironie, hinterherschieben: „Ich weiß, es klingt pathetisch“? Wie kann man sowenig Distanz haben, sowenig Bewusstsein dafür, wie bescheuert das wirkt? Ich hatte bis dahin ja geglaubt, das deutsche Theater sei der letzte Hort der Hardcoreintellektuellen, der selbstverständlichen Kommunisten, die keine Presseerklärung rausgeben ohne Badiou und Baudrillard zu zitieren. Ich hatte geglaubt, das Theater wäre viel – vielleicht langweilig, selbstzufrieden, irrelevant –, aber nicht dumm und unreflektiert.
Hier war das aber der Fall. War mir dieses Licht erst einmal aufgegangen, machten auch die zahlreichen kleinen Witzchen und Kalauer wieder Sinn, die das Stück durchzogen. Sie waren nur selten gut, und erfüllten so eindeutig keinen anderen Zweck, als sich a lá Heute-Show über die Rechten lustig zu machen, dass ich erst ein wenig verwirrt war: Was ist die Bedeutung dieser Witze? Welche Rolle spielen sie im Kunstwerk? Die Antwort war: keine. Sie sollten witzig sein, und waren es oft auch ein wenig.
Mit anderen Worten: dieses Theaterstück war genau das, was ich nicht erwartet hatte – Entertainment. Zwar Entertainment für gebildete, oder solche, die gerne so tun, als wären sie es, aber doch nur Abendunterhaltung. Aber wie gesagt, Musik war gut, Ticket war nicht teuer, also was will ich mich beklagen.