Die Journalistin Dunya Hayali gab vor einigen Wochen der neurechten Zeitung Junge Freiheit ein Interview, in der sie Werbung für den „Dialog“ machte, denn „wenn der Dialog endet, können wir alle einpacken.“
Dafür gab es viel Kritik, aber auch Unterstützung – zum Beispiel von Liane Bednarz, die meinte, man müsse „honorieren“, dass sich die Junge Freiheit gegen Björn Höckes völkische Exzesse ausspricht. Deshalb stimme sie dem JF-Chefredakteur Dieter Stein zu, wenn der fordert, „unsere Echokammern“ zu verlassen, „in denen wir uns manchmal nur noch selbst bestätigen. Der politischen Kultur täte es gut.“
Und man fragt sich: woher kommt nur dieses Bedürfnis, aus Rechtsradikalen Gesprächspartner zu machen?
Es stimmt ja, die Junge Freiheit versucht respektabel sein. Sie unterstützt den „moderaten“ Petry-Flügel der AfD gegen die Höcke-Fraktion und liefert sich parallel dazu einen Kleinkrieg mit Götz Kubitschek. Dieser Zwist unter einstigen Weggefährten sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Junge Freiheit derselben radikal-reaktionären Tendenz angehört wie Kubitschek und Höcke. Inhaltlich gibt es keine bedeutenden Differenzen, der Streit dreht sich eher darum, wie man das faschistische Gedankengut der Neuen Rechten am effektivsten verbreiten kann. Pragmatische Realpolitik gegen kitschige Theaterpolitik – so könnte man den Konflikt beschreiben. Die Junge Freiheit wünscht sich eine koalitionsfähige AfD, um so das Land effektiv nach rechts zu verschieben; für Höcke und Kubitschek ist die Partei nur ein Vehikel auf dem Weg zur totalen völkischen Revolution.
Doch auch die Junge Freiheit wäre der totalen völkischen Revolution sicher nicht abgeneigt, wäre sie denn machbar. Bis es aber soweit ist, will die Zeitung das Establishment nicht hinwegfegen, sondern dazugehören. Diesem Ziel ist sie nun einen Schritt nähergekommen. Das allein wäre ein guter Grund gewesen, das mit dem Interview sein zu lassen.
Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, sich mit allen möglichen Menschen zu unterhalten, mit Nazis oder Mördern oder CSU-Wählern, ganz egal. Es mag zwar nicht gut für die Demokratie sein, mit Faschos wie Götz Kubitschek zu diskutieren, aber es muss ja auch nicht immer gleich alles gut für die Demokratie sein – interessant reicht manchmal auch. (Oder würdest Du dir nicht gerne eine Debatte zwischen Götz Kubitschek und einem gut informierten, klugen Gegner anschauen, sagen wir Volker Weiß?) Entscheidend aber ist, und das gilt besonders für öffentliche Streitgespräche, dass diese Leute dabei als das bezeichnet werden, was sie sind, und sich nicht selbst darstellen können, wie sie es wünschen. Wer sich auf Diskussionen einlässt, sollte in der Lage sein, genau zu argumentieren, welche menschenfeindliche Brutalität hinter harmlos klingen Begriffen wie „Ethnopluralismus“ steckt – und es auch tun.
Das Fatale an Hayalis Interview ist aber nicht nur, dass sie darauf verzichtet, die Junge Freiheit als das zu bezeichnen, was sie ist (nämlich ein Organ der völkisch-reaktionären Neuen Rechten). Schlimmer noch als diese implizierte Verharmlosung ist der ganze Geist der Gesprächsbereitschaft, dieser gnadenlose Wille zum Dialog, der das Interview durchzieht. So meint Hayali zum Beispiel: „Da fällt mir diese schöne Karikatur ein, die zwei Männchen zeigt, die auf eine auf den Boden gemalte Zahl blicken. Das eine Männchen steht am Kopfende der Zahl, das andere am Fußende. Das eine sagt: ‚Sechs!‘, das andere sagt: ‚Neun!‘ Sechs oder Neun? Das kommt auf den Standpunkt an! Deshalb lese ich auch nicht nur die ‚etablierten‘ Medien, sondern auch mal linke Blätter, ebenso wie Ihre Zeitung. Denn ich will wissen, welche Vielfalt es an Meinungen gibt. Und die gibt es in diesem Land! Man muß halt die Augen aufmachen.“
Diese Passage zeigt beispielhaft, was von solcher Dialogbereitschaft zu halten ist. Man wünscht „ins Gespräch zu kommen“, weil man sich die „politische Kultur“ anscheinend nur als freundlich diskutierende Volksgemeinschaft denken kann, in der jeder seinen Beitrag zur pluralistischen Wahrheitsfindung leistet. Nur echten Antagonismus darf es nicht geben. Hayali steht natürlich nicht alleine da mit diesem angestrengten Bemühen, bei den Rechten endlich respektable Gesprächspartner zu finden. Schon als es mit Pegida losging, gab es diese Hoffnung, man könne die Spreu vom Weizen, die besorgten Bürger von den „echten“ Rassisten trennen. Wichtiger als die Ächtung des Rassismus scheint der Wunsch zu sein, die gestörte Harmonie in der deutschen Familie wiederherzustellen.
Deswegen ist es so fatal, wenn dem Rechtspopulismus quasi als Ursünde vorgeworfen wird, er richte sich gegen den Pluralismus und wolle im Namen des „Volkswillens“ die faktenbasierte Debattenkultur der Demokratie abschaffen. Das stimmt zwar alles, doch die „Debattenkultur“ so ins Zentrum zu stellen, impliziert schon das Appeasement: wenn sich endlich ein Rechter findet, der gesittet und respektvoll diskutieren kann, steht die Tür weit offen. Die Vorstellung einer bedrohten deutschen Identität wird aber nicht weniger wahnhaft, wenn sie in gutem Deutsch vorgetragen wird. Nicht wegen ihres schrillen und unsachlichen Tons sind die Rechten zu bekämpfen, sondern weil sie eine reaktionäre Ideologie vertreten, die Ungleichheit und Hierarchie predigt.
Tun sie das wie Dieter Stein im sanften Plauderton, anstatt zu schreien wie Björn Höcke, sollte das nicht „honoriert“ werden, wie Bednarz schreibt, ganz im Gegenteil. Indem man eine künstlich vom Höcke-Wahnsinn getrennte „vernünftige“ Rechte in die nationale Diskursgemeinschaft einlädt, leistet man nur seinen eigenen kleinen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck. Man bedenke, dass der Ruf nach „Meinungsfreiheit“ ein zentraler Aspekt der Strategie der Rechten ist, die oft behaupten, sie wünschten sich nur eine offene Diskussion über Zuwanderung, ohne „Denkverbote“ und politisch-korrekte Scheuklappen. So spricht auch JF-Chefredakteur Dieter Stein in seinem Kommentar zum Interview mit Dunya Hayali davon dass „unter der Oberfläche in allen Gesellschaften zu jeder Zeit, seien sie formell noch so freiheitlich und demokratisch, stets ein Kampf darum statt[findet], wer den Raum der Öffentlichkeit hörbar betreten darf, wer den Zugang zu Mikrofonen in Rundfunk und Fernsehen erhält, wessen Spielräume weiter und wessen Spielräume enger werden. Es geht dabei immer schlicht um politische Macht.“ Der implizierte Schluss: Wir „Konservativen“ sind nicht frei unsere Meinung zu sagen, wir werden durch informelle Machtausübung aus der Öffentlichkeit gedrängt, eine wirklich offene Gesellschaft aber würde uns im Mainstream willkommen heißen.
Natürlich steht das weinerliche Opfergetue der Rechten in keinem Verhältnis zur Realität. Wehleidige Klagen dieser Sorte finden sich auch in den auflagenstärksten Zeitungen, sie führen Bestsellerlisten an und ernten stets mehr Beifall als Kritik. Aus ihnen spricht vor allem der hysterische Verfolgungswahn privilegierter Reaktionärer, denen nur totale Zustimmung „Meinungsfreiheit“ genug ist. Prinzipiell aber hat Dieter Stein völlig recht. Dass ein großer Teil seiner Ansichten (noch) nicht gesellschaftsfähig ist, sondern sanktioniert und ausgegrenzt wird, ist kein Hirngespinst. Der Kampf um „die Grenzen des Sagbaren“ ist ein politischer Kampf, den die Nazis noch lange nicht gewonnen haben. Und genau so sollte man ihn auch verstehen, als politischen Kampf. Es gibt kein selbstverständliches, klar abgegrenztes Feld der akzeptablen Meinungen. Vielmehr werden diese Grenzen ständig neu gezogen und verschoben, und das ist, wie Stein richtig bemerkt, auch eine Frage politischer Macht.
Die Rechten verstehen das alles sehr gut, weshalb sie pausenlos von „Metapolitik“ und „Overton-Window“ sprechen – ganz so als wäre ihr eigentliches Ziel nicht, Anhänger für das eigene Lager zu gewinnen, sondern den gesellschaftlichen Mainstream nach rechts zu öffnen. Wer diese Leute zum respektablen Diskursteilnehmer adelt, schenkt den Rassisten ohne Not einen Sieg. Statt zwanghaft das Gespräch zu suchen, sollte man besser ohne Scham zugeben (frei nach dem Grundgesetz): eine informelle Zensur findet statt.
Ein Beispiel: Wie Liane Bednarz in ihrer Junge-Freiheit-Apologie erwähnte, hat der Geschichtsrevisionist Stefan Scheil dort 2015 einen Artikel zum 70. Jahrestag des 8. Mai 1945 veröffentlicht, in dem er schrieb: „Sollte der Weg zu einem freien, geeinten, souveränen und demokratischen Deutschland in diesem Sinn offen bleiben, mußte die Niederlage vermieden werden.“
So etwas ist in „Mainstream-„Zeitung nicht zu lesen, solche Ansichten können Politiker das Amt, und Nicht-Politiker alles Mögliche kosten – Karriere, Freunde, generelles Wohlergehen. Das war nicht immer so, und dass es heute so ist, stellt einen Fortschritt dar, der erkämpft wurde und durch Repressionen verteidigt wird. Informelle Repressionen zwar, aber trotzdem Repressionen: Wer so etwas heute sagt, wird geächtet. Nothing wrong with that. Bedrohlich ist eher, dass die links-grün-versiffte Meinungsdiktatur der BRD, wenn es sie überhaupt mal gegeben hat, schon lange deutliche Schwächererscheinungen zeigt und sich inzwischen ein völkisches Glasnost ankündigt.