Es klingt noch immer wie ein schlechter Witz, aber Donald Trump ist Präsident. Obama verkörperte die Hoffnung auf ein anderes Amerika: offen, fortschrittlich, vernünftig. Dieser Traum scheint ausgeträumt, und in Europa spricht man schon vom „Ende des Westens,“ dessen Konkursmasse nun ausgerechnet Merkeldeutschland erben werde. Doch diese Untergangsszenarien (und dieser deutsche Größenwahn) ist noch reichlich verfrüht.
Viel spricht dafür, dass die aktuelle Vorherrschaft der Rechten auf Sand gebaut ist. Ein erstes Hoffnungszeichen waren die mehr als zwei Millionen Menschen, die nach Trumps Amtsantritt im ganzen Lande für den „March for Women“ auf die Straße gingen. Es waren die größten Proteste seit Jahrzehnten. Hier sprach die „schweigende Mehrheit“ im Land, die ja Clinton eine deutliche Mehrheit der Stimmen beschert hatte.
Trump war nicht nur der unbeliebteste Präsidentschaftskandidat seit Jahrzehnten (der zweite Platz geht hier an Hillary); auch seine jetzigen Zustimmungswerte erreichen historische Tiefwerte. Auch sollte nicht vergessen werden, dass Trump die Vorwahlen gewann, gerade weil er gegen alle Regeln seiner eigenen Partei verstieß. Trump zu wählen war auch eine Absage der Basis gegen das Parteiestablishment und die konservative Orthodoxie, gegen religiösen Kitsch, Freihandel und Militärinterventionen. Nur die Ressentiments der weißen Mittelschicht blieben übrig – und wurden noch mal auf ein ganz neues Level gehoben. Ein Fortschritt ist das sicher nicht, aber vielleicht ein Zeichen, dass die prägende politische Kraft der letzten Jahrzehnte – der konservative Neoliberalismus – seine besten Zeiten hinter sich hat.
Diese These vertritt der amerikanische Politikwissenschaftler Corey Robin in einem Essay im Nplusone-Magazin. Trump sei typisch für einen Moment, in dem ein politisches Paradigma zu Ende geht und ein neues noch nicht geboren ist. Der letzte Präsident dieser Art war der Demokrat Jimmy Carter, der in den späten 70ern den Niedergang des sozialliberalen Nachkriegskonsenses verwaltete, bis dann Ronald Reagan antrat, um die Regeln neu zu schreiben. Das von Reagan etablierte neoliberale Regime bestimmt bis heute die amerikanische Politik, zeigt aber deutliche Krisenerscheinungen. Wie Carter damals sei Trump „an ein wankendes Paradigma gebunden. Er spürt dessen Schwäche und versucht verzweifelt, es zu retten, indem er seine grundlegenden Prämissen und Verpflichtungen umformt.“
Dass gerade irgendetwas zu Ende geht, dürfte dem politische Lebensgefühl in weiten Teilen des Westens entsprechen. Optimistisch stimmt das aber die wenigsten, eher fürchtet man das Heraufziehen eines neuen nationalistischen Zeitalters. So erschreckend die xenophoben Exzesse Trumps aber auch sind: Die USA sind nicht (oder zumindest kaum) mit dem Fluch geschlagen, der gerade droht, ganz Europa wie ein Senkblei zurück in die Dunkelheit zu ziehen: nämlich dem Wahn einer ethnisch fest umrissenen Nationalidentität. Islamophobie gibt es in Amerika ohne Ende, doch die Debatte ob „der Islam zu den USA gehört“ ist kaum vorstellbar. Einwanderung und die daraus resultierende kulturelle Heterogenität gab es in den USA schon immer – und das in einem Ausmaß, der jedes europäische Land schon lange in den Faschismus getrieben hätte. Dem Meinungsforschungsinstitut Gallup zufolge wünschen sich nur 38% der Amerikaner weniger Einwanderung; in den 90ern waren das noch mehr als 60%.
Tatsächlich dreht sich trotz des gegenwärtigen Horrors der Wind in Amerika – Richtung Fortschritt. Umfragen zeigen schon seit langem, dass die meisten Amerikaner in vielen Fragen eher liberale Einstellung haben: Minderheitenrechte, Abtreibung, Sozialstaat. Besonders die jüngere Generation denkt so – und zieht sogar mehrheitlich den Sozialismus dem Kapitalismus vor.
Wenn das aber so ist, warum geben die Republikaner dann so unangefochten den Ton an? Nun, es gibt da ein Problem, und das nennt sich „Demokratische Partei.“ Trump hat die Wahl nicht gewonnen, die Demokraten haben sie verloren. Die größte Wählergruppe in den USA sind die Nichtwähler. Die sind eher jung, nicht-weiß, einkommensschwach – und deutlich progressiver als der Bevölkerungsdurchschnitt. Dass von ihnen nicht mehr zur Wahl gegangen sind, zeigt, wie bankrott der amerikanische Liberalismus ist.
Das ist nicht allein der Kandidatin Clinton anzulasten. Die Wurzeln der Misere liegen tief. Bill Clinton hat die bis heute prägende Appeasementpolitik der Demokraten in den 90ern erfunden: man übernahm den neoliberalen Konsens und versuchte gelegentlich, gesellschaftliche Fortschritte durchzusetzen – solange man damit kein Risiko einging.
Statt für eine progressive Agenda zu kämpfen und Wähler zu mobilisieren, ließ man sich von der Gegenseite den Rahmen des politisch Machbaren diktieren. So agierte auch Obama, Hillarys Wahlkampf aber trieb diesen zahnlosen Milchtoastliberalismus auf die Spitze. Ambitionierte Pläne, die die apathische Mehrheit mobilisieren könnten, kamen bei ihr kaum vor, trotz des Warnschusses durch Bernie Sanders überraschenden Erfolg. Auch wurden die sozialen Bewegungen, die eine progressive Agenda von der Straße unterstützen könnten, weitgehend links liegen gelassen. Zum Beispiel der landesweite Kampf für einen 15$-Mindestlohn, den genau die (eher nicht-weißen, jungen, einkommensschwachen) Menschen führen, auf deren Stimmen die Demokraten so dringend angewiesen sind. Clinton reagierte mit ihrem legendären politischen Instinkt: Ja, nein, vielleicht – wie wäre es mit 12$? (Die 2015 an der Wall-Street ausgezahlten Boni – Boni, nicht Einkommen – betrugen 25 Milliarden Dollar, doppelt so viel wie das Gesamteinkommen der knapp eine Millionen Menschen, die in den USA Vollzeit arbeiten und Mindestlohn erhalten.)
Folgen die Demokraten ihrem bisherigen Drehbuch, gibt es keinen Grund zum Optimismus. Man sollte sich auch keine Illusionen machen: Schon allein der politische Opportunismus würde es ja gebieten, sich ein paar der „sozialistischen“ Sanders-Themen anzueignen. Dass das nicht geschieht, zeigt, dass die Demokraten an einer progressiven Agenda, wie sie nötig wäre, um Mehrheiten gegen Trump aufzubauen, nicht interessiert ist. Der Einfluss der großen Spender und der gehobenen Mittelschicht in der Partei steht der notwendigen Kurskorrektur im Weg.
Alles hängt davon ab, ob der jetzt anlaufende „Widerstand“ sich damit begnügt, zu verteidigen, was mal war, oder den Grundstein zu etwas Neuem legt – und sich dabei auch mit der Demokratischen Partei anlegt.
Gallup Einwanderung: http://www.gallup.com/poll/1660/immigration.aspx
NplusOne Corey Robin: https://nplusonemag.com/online-only/online-only/the-politics-trump-makes/
Mindestlohn-Statistiken: http://www.ips-dc.org/wp-content/uploads/2016/03/Wall-Street-bonuses-v-minimum-wage-2016-FINAL.pdf